Martha Schwalbe geb. Zuttergeboren am 17. Januar
1921 in Ernstweiler (heute Zweibrücken, Stadtteil
Ernstweiler) in dem Haus, in dem ich heute noch lebe. Ich liebe dieses
alte Haus, welches meine Großeltern 1879 erbaut haben, heute mehr denn
je und ich hoffe, dass von dieser Liebe auch ein bisschen auf Euch übergegangen
ist, denn es war und ist auch für Euch ein zweites Zuhause. Ich war immer
froh, dass Euer Opa nie den Wunsch hatte, neu zu bauen. Ihm waren schon
die notwendigen Modernisierungsmaßnahmen suspekt und meine Freude am Planen
und Bauen ließ er mich gerne an anderen Objekten verwirklichen.
Nach der Rückkehr nach Zweibrücken begann ich mein Jura-Studium an der Universität Straßburg, das nach erfolgreichem Frankreichfeldzug wieder deutsch geworden war. Leider schloss die Universität wegen des Herannahens der Front im Sommer 1944, noch ehe ich mein Examen machen konnte. Der Kriegsdienstverpflichtung zum Reichssicherheitsdienst (eine üble Sache) konnte ich entgehen, da meine Mutter erkrankt war. Aus einer großen Jugendliebe war inzwischen eine Freundschaft geworden, und auch das war ein Teil meiner Jugend.
Die nochmalige Evakuierung Zweibrückens im Herbst 1944 verschlug uns nach Niederbayern, von wo wir erst im August 1945 in das völlig zerstörte Zweibrücken zurückkehren konnten, in ein zwar beschädigtes, aber bewohnbares Haus.
Die Universitäten blieben noch ein weiteres Jahr geschlossen und 1946
kam Euer Opa, mit dem ich seit Weihnachten 1944 verlobt war – wir hatten
uns während des Studiums in Straßburg bei Familie Streve kennen gelernt
– , nach den unvermeidlichen Irren und Wirren der Nachkriegszeit, nach
Zweibrücken und wir entschlossen uns, 1947 zu heiraten. Ein Jahr später
im Mai 1948 wurde Eure Mami geboren, und da Euer Opa der Ansicht war, dass
ich ihm später als Hilfe in der Arztpraxis dienlicher sei denn als Juristin,
nahm ich mein Studium nicht wieder auf.
Nach seiner Tätigkeit als Assistenzarzt am Evangelischen Krankenhaus hier in Zweibrücken, ließ sich Euer Opa 1950 als praktischer Arzt nieder. Wegen der herrschenden Wohnungsnot wagten wir den Anfang hier im Haus, und wie Ihr seht, ist daraus ein Dauerzustand geworden. Mein Leben spielte sich fortan zwischen Haushalt und Praxis ab, und ich war schon froh, dass sich meine Mutter, die mit uns im Hause lebte - mein Vater war 1950 gestorben – bis zu ihrem Tod im Jahre 1971 um das Kochen kümmerte.
Meine Tätigkeit als Schöffin beim Jugendschöffengericht und - während der Gymnasialzeit Eurer Mami - 7 Jahre als Vorsitzende des Schulelternbeirates waren eine kleine Verbindung nach draußen. 14 Jahre lang war ich auch Vorsitzende des “Bundes der Ehemaligen des Neusprachlichen Gymnasiums”, das aus dem früheren Mädchenlyzeum hervorgegangen war. Noch heute arbeite ich gerne mit den jungen Leuten im Vorstand zusammen.
Interessant waren die 6 Jahre, in denen wir junge
amerikanische Soldaten mit ihren Familien im Hause wohnen hatten. Neben
den französischen Besatzungstruppen waren sie als US-Nato-Truppen hier
stationiert. Ich konnte mein Englisch verbessern, was mir auf unseren späteren
Reisen sehr nützlich war. Der Kontakt zu einigen dieser jungen Familien
riss nie ab. Sie leben heute über die USA verstreut durchweg in sehr guten
Verhältnissen und es besteht ein reger Reiseverkehr herüber und hinüber,
auch zwischen den nachfolgenden Generationen. Die größten Nutznießer
aber seid Ihr, die Ihr alle schon wiederholt drüben wart, zum Verbessern
Eurer Sprachkenntnisse. Viel Freude hat mir auch immer wieder die Vorbereitung
und Durchführung von Festlichkeiten und sonstigen Einladungen bereitet,
was noch heute unseren großen Freundes- und Verwandtenkreis zusammenbringt,
in den auch Ihr hineingewachsen seid. Haben doch alle irgendwann auch mal
“Babysitter” bei Euch gespielt, wenn ich etwas Unaufschiebbares zu
erledigen hatte.
Als die Familie nach und nach größer geworden
war und ich das Kochen für Euch nicht aufgeben wollte, weil Eure Mami
voll berufstätig und außer Haus war, musste ich mich ganz schön anstrengen,
alles unter einen Hut zu bringen. Zeit war Mangelware und die Gedanken
waren meist schon bei der nächsten Arbeit. So konnte es passieren, dass
ich Klein-Astrid beim Einkaufen einmal vergaß. Nachdem alles im Kofferraum
verstaut war, fuhr ich los. Als ich zurückkam, stand das gute Kind ruhig
und vergnügt an der Stelle, an der ich sie verlassen hatte. Holger, ca.
5jährig, musste sogar einmal zwei Stunden wartend auf der Mauer vor der
Musikschule sitzen, bis ihn die Musiklehrerin mit nach Hause nahm und seinen
Hunger stillte. Auf Wunsch bekam er Rührei und Butterbrot. Als ich ihn
abholte, wollte sie ihn von der Stelle weg “adoptieren”, weil er ihr
und ihrem Mann so viel Freude gemacht habe. Ich hatte derweil mit Hunsicker
den Vorgarten in der Maerckerstraße neu bepflanzt und mich erst bei eintretender
Dunkelheit an Holger erinnert.[4]
Die Familie quittierte diese “Verfehlungen” stets mit viel Humor, sodass
ich nicht in Stress geriet. Jedes Jahr ein Erholungsaufenthalt , meist am
Gardasee, und ab und zu eine Fernreise in die schöne weite Welt, waren
Höhepunkte in einem von Arbeit geprägten Leben. Gerne haben Opa und ich
Euch dann später auch zu Wettkämpfen und Turnieren begleitet, wenn Eure
Eltern verhindert waren, und wir waren immer stolz auf Eure sportlichen
Erfolge.
Nach
Beendigung der Praxistätigkeit 1989 wurde es etwas ruhiger in unserem
Leben. Geblieben ist uns die Freude mit Euch, und es gäbe manch kleine
Geschichte zu erzählen. Aber wo soll ich anfangen und wo aufhören? Es
genügt, wenn Euer Papi noch immer mit großer Freude die Geschichte erzählt
von dem Teller, den ich aus Ärger auf Gregors Kopf zerschlug, während
doch Holger der eigentliche Missetäter war. Für Eure Blessuren war Opa
zuständig. Ihm sei deshalb ein großes Lob! Mit seinen geschickten Händen
hat er all Eure kleinen und großen Wunden vorbildlich versorgt. Bester
Beweis: Holgers klaffende Stirnwunde, die er sich bei einem Zweikampf mit
Gregor zugezogen hatte. Nur mit geübtem Auge ist sie heute noch zu erkennen. Eingestehen
muss ich auch, dass Ihr es mit mir nicht immer leicht hattet. Trotz der
in den 70er und 80er Jahren hochgelobten antiautoritären Erziehungsmethode
hielt ich es - in den Stunden, die Ihr bei uns wart - lieber mit einer
Erziehung zu Fleiß und Ordnung, mit liebevoller Strenge und natürlich
unterstützt von Euren Eltern.
Astrids Berichte über ihr Medizinstudium sind mir eine Freude, ganz besonders zu der Zeit, als sie zur Famulatur in San Francisco weilt. Telefon und e-mail lassen mich die Entfernung vergessen. Seit sie Ehefrau und Hausfrau ist, gehen des öfteren auch telefonische Kocherläuterungen nach Ulm. Bei ihrer Gelehrsamkeit und ihrem Willen muss ich befürchten, dass sie mich schon bald überflügeln wird.
Ein gelegentlicher Kinobesuch mit Holger oder ein Besuch mit Gregor im Internet-Café lassen mich manchmal mein Alter vergessen. Die Wunderwelt von Elektronik, Computerwissenschaft und E-mail-Kommunikation werde ich nicht mehr begreifen lernen, obwohl mir Eure fortschrittliche Familie diese immer wieder vertraut machen will. Holger wünsche ich nach seiner Lehre als Mediengestalter Bild und Ton und nach dem geplanten Studium viel Glück, das er in der Medienbranche auch brauchen wird. Dass Gregor neben der Schule sich die ersten Sporen in der Computerbranche verdient, ist sicher eine gute Grundlage für seine Berufswahl nach dem Abitur.
Kim und Christoph gehören inzwischen auch zur Familie. Über Kims sportliche Erfolge, neben ihrem Studium, - Weltmeisterschaftsdritte, Aufnahme in den Olympia-Kader - freue auch ich mich. Christoph ist mir ein lieber Gast. Seine gelegentlichen kleinen Hilfen bei Autoproblemen bringen ihm Punkte.
Abwechslung bringt auch Euer Papi mit seinen vielen
Aktivitäten und “Einquartierungen” bei mir. Sportler aus aller Welt,
Paneuropa-Freunde, Franzosen aus der deutsch-französischen Begegnungszone
oder auch Kutschenfahrer, die ein ganz besonderes Völkchen sind, machten
schon Opa immer großen Spaß.Last not least Eure Mami! Mit ihr verband
uns immer eine tiefe Freundschaft und nach Opas Tod gab sie mir das Bewusstsein,
nie allein zu sein mit irgendwelchen Problemen. Ihr ganz besonders, aber
auch Euch allen, danke ich, dass es Euch gibt.
Dies schrieb Euch, zum Nachlesen und Nachdenken,
Eure Oma
Im Frühjahr 2000