Krippendorff, E., Euskirchen, M. und Wellmann, A.: 
100 Tage Militär
Exemplarischer Tätigkeitsbericht über das älteste und größte Gewerbe der Welt
Bremen (Donat) 2000, 188 S., 28,- DM
ISBN 3-931737-90-X
 
Das Buch dokumentiert über einen Zeitraum von 100 Tagen das weltweite Treiben der Militärs. Neben Kampfhandlungen, Manövern und Werbeaktivitäten werden auch die symbolischen Auftritte in der Öffentlichkeit - Paraden, Kranzniederlegungen, Gelöbnisse, Flugschauen und Staatsbesuche - erzählt. Die Darstellung konterkariert die Eindimensionalität der üblichen Beschäftigung mit dem Gegenstand Militär und den allzu glatten Umgang mit ihm in der Gesellschaft.
 
Inhalt
Einleitung
Über den Begriff Militär
Militärische Aktivitäten
Die Systematik
Impressum
Bestellungen
Rezensionen
 


Inhalt

Vorwort
Einleitung
Über den Begriff Militär
Militärische Aktivitäten
Die Systematik


100 Tage in 10 Rubriken

I. Landesverteidigung
II. Machterwerb, Machterhalt, Machtverlust
III. Internationale Militärinterventionen
IV. Kriegsvorbereitungen
V. Personal und Organisation
VI. Rüstung und Budget
VII. Militärdiplomatie
VIII. Symbolische Handlungen
IX. Geschichte
X. Diskussionen und Analysen
100 Tage Militär - 2 Jahre später
Register
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Einleitung

Dem “Projekt Militärchronik”, aus dem die hier vorgestellten „100 Tage Militär“ hervorgingen, geht es darum, die Alltäglichkeit dieser gesellschaftlichen Institution, seine “Universalität”, für einen begrenzten Zeitraum exemplarisch zu dokumentieren, seine weltweiten Aktivitäten zu erfassen und in einer gut lesbaren Form zu präsentieren. Auch wer sich seit längerem beruflich mit Militär beschäftigt, wird von der Fülle der Aktivitäten, die bereits in den normalen Tageszeitungen verzeichnet werden, überrascht sein. Militär ist im täglichen Leben ständig präsent und aktiv. Die tatsächliche physische Gewaltanwendung, ist dabei nur die Spitze eines Eisbergs und der eigentliche "Krieg" gar nur ein seltener Gipfel. Trotzdem: 'Überall, jederzeit und mit allen Waffen' – so das offenbar-geheime Motto der US-amerikanischen Militärstrategie seit Mitte der achtziger Jahre – wird Krieg vorbereitet, geplant und in unerklärten Aktionen auch geführt. Die Übergänge zwischen Krieg und Frieden sind fließend geworden, und was wir heute als Frieden im Weltsystem und zwischen den Staaten bezeichnen, scheint, auch und gerade aus der Perspektive des Militärs, nur ein – sehr fragiler – Ausnahmezustand zu sein, der die latente Gewalt nur verdeckt. Überall wird staatlich auf- und technologisch umgerüstet, und der Waffenhandel blüht. Das “Projekt Militärchronik” ist kein Konkurrenzunternehmen zur (hamburger) "Kriegsursachenforschung", (1)  das ehrgeiziger konzipiert ist und eine eindeutig wissenschaftliche Öffentlichkeit 'bedienen' will. Und es überschneidet sich nicht mit dem Erkenntnisinteresse der "Friedensursachenforschung", (2)  der es um gesellschaftspolitische Projekte und Projektionen geht. Uns geht es um das Militär als dem materiellen Substrat von Krieg – und dem Gegner langfristiger, dauerhafter Friedensstrukturen. Insofern liegt dem “Projekt Militärchronik” und dem hier präsentierten exemplarischen Ausschnitt eine explizitere Werk-Orientierung zugrunde: die der Militär-Kritik. 
Die “100 Tage” entstanden im Rahmen einer dreisemestrigen Lehrveranstaltung mit Studierenden im Grund- und Hauptstudium und ohne jegliche Hilfsmittel von Dritten. So waren wir angewiesen auf die Auswertung solcher Materialien (Tageszeitungen, Fachzeitschriften), die in den berliner Bibliotheken vorfindbar sind und die die Kapazitäten der Seminarteilnehmer nicht über stiegen. Trotzdem wurde das schiere Volumen der für den vorgesehenen Berichtszeitraum von neun Monaten (zwei Semestern) gesammelten Nachrichten so umfangreich, daß wir uns entschlossen, daraus nur die gewissermaßen "magisch" besetzten 100 Tage auszuschneiden (November 1996 bis Februar 1997), die noch immer ein genügend anschauliches Bild zu geben in der Lage sind. Nicht nur, aber auch deswegen ist das “Projekt Militärchronik” in seiner Reichweite deutlich begrenzter als die erwähnten Forschungsprojekte, die eine möglichst vollständige Erfassung eines langen Zeitraumes, z.T. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichend, anstreben.
Allerdings geht unser Unternehmen über jene Kriegsursachen- bzw. Friedensursachenforschung insofern hinaus, als nicht nur Kriegs- oder Friedensprozesse untersucht und dargestellt werden sollen, sondern der Versuch unternommen wird, die eher unspektakulären Aktivitäten des Militärs weltweit zu erfassen, zu strukturieren und als Chronik darzustellen. Die “100 Tage” thematisieren natürlich auch aktuelle Kampfhandlungen ebenso wie Friedensprozesse, aber das Netz der zu erfassenden Informationen ist weiter ausgespannt, indem hier nach Möglichkeit alle militärischen Aktivitäten – von Manövern bis zur Budgetplanung, von der Rüstungsbeschaffung bis zu Gerichtsprozessen – dokumentiert werden. Das Projekt geht also mit auch begrifflich erheblich erweiterten Kategorien an die Arbeit als der Kriegs- oder Friedensursachenforschung zugrunde, – bleibt zugleich bewußt in Bezug auf die zeitliche Reichweite hinter ihr zurück.
Nur auf den ersten Blick schien das Vorhaben theoretisch problemlos: Im Verlaufe des Seminars stellten sich immer mehr Fragen, die geklärt werden mußten, angefangen mit der schlichten Grundfrage: Was ist überhaupt Militär?
(1) Vgl. u.a. Klaus Jürgen Gantzel (Hg.), Kriege in der Dritten Welt. Theoretische und methodische Probleme der Kriegsursachenforschung - Fallstudien (= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) Bd. XII), Baden-Baden 1988
(2) Vgl. u.a. Volker Matthies (Hg.), Vom Krieg zum Frieden. Kriegsbeendigung und Friedenskonsolidierung, Bremen 1995
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Über den Begriff Militär

Die Frage, “Was ist Militär”, erscheint nur auf den ersten Blick einfach zu beantworten: Militär, so scheint es, ist jene soziale Organisation, die uniformiert, kaserniert, bewaffnet und dem Prinzip von Befehl und Gehorsam unterworfen ist, und die von einem Staat unterhalten wird, um sein Territorium vor anderen Staaten zu schützen. Eine solche schlichte Definition findet aber in der politischen Wirklichkeit so gut wie keine Entsprechung – sie erfaßt sie überhaupt nicht.
  1. Bereits das Merkmal, daß das Militär den Staat nach außen schütze, stimmt bestenfalls noch für das 18. und frühe 19. Jahrhundert. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es zwar nur wenige zwischenstaatliche Kriege gegeben, wohl aber eine eindrucksvolle Kette von militärisch ausgetragenen Konflikten. Die überwiegende Anzahl der Kriege der letzten 50 Jahre hat innerhalb von Staatsgrenzen stattgefunden (3)  oder ist aus der Auflösung von Staaten, dem Zerfall staatlicher Autorität hervorgegangen. Als aktuelle Beispiele seien hier Somalia oder Afghanistan genannt, oder den Zeitraum unserer Chronik dominierend: Kongo. Eine Definition von Militär, die Staatlichkeit und die “Verteidigung” des Staates als Charakteristikum aufzählt, wird also den beobachtbaren Gegebenheiten der heutigen Welt nicht gerecht. Militär in jenem strengen Sinne ist also eine Institution, die in nur wenigen Staaten zu finden ist.
  2. Auch zwei weitere Merkmale – Uniformierung und Kasernierung – sind für eine den heutigen Verhältnissen adäquate Definition von Militär nur begrenzt brauchbar: Ein großer Teil der zeitgenössischen Kriege wird mit Einheiten geführt, auf die das Kriterium “uniformiert” oder gar “kaserniert” nur marginal oder gar nicht zutreffend ist: Die kurdische PKK in der Türkei, die Verbände der Mudschahedin in Afghanistan oder die UCK im Kosovo könnten nicht als “Militär” beschrieben werden, wenn Uniformierung oder Kasernierung unverzichtbarer Bestandteil der Militärdefinition wäre – aber was könnte noch beschrieben werden, wenn solche Kampftruppen aus der Definition ausgeschlossen würden?
  3. Übrig bleiben zwei Merkmale, die wir dann auch unserer Chronik zugrundegelegt haben: Das Prinzip von Befehl und Gehorsam, das sich in allen kämpfenden Verbänden findet, und – weitaus wichtiger – der Zweck der sozialen Organisation: die kollektive physische Gewaltanwendung. Gerade dieser Zweck scheint uns das einzige Kriterium zu sein, das eine Militärorganisation von anderen sozialen Gruppen – Parteien, Industrieverbänden oder Kleintierzüchtervereinen – qualitativ unterscheidet. Der Zweck des Militärs ist der Krieg oder die Vorbereitung des Krieges, auch wenn die konkreten organisatorischen Formen, die dafür historisch oder aktuell entwickelt werden, sich deutlich voneinander unterscheiden. Auf der Mikro-Ebene gleicht kein Militär exakt dem anderen, wiewohl es auf der Makro-Ebene, der des Zwecks, dann kaum Unterschiede gibt.
(3) Vgl. u.a. Klaus Jürgen Gantzel/ Thorsten Schwinghammer, Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1992. Daten und Tendenzen, Hamburg 1995
Militär nach dem Kriterium des Zwecks "Krieg" zu definieren, wirft zwar immer noch Abgrenzungsprobleme auf (beispielsweise ob die korsische Seperationsbewegung als “Militär” zu betrachten ist), aber solche Probleme können und müssen mit einer Setzung – wir entschieden uns in diesem Fall für Nein – pragmatisch behandelt werden. Zum Abschluß sei ein letztes Merkmal von Militär erwähnt, das zentral zu dessen Verständnis gehört und auch bei uns (u.a. unter V.) dokumentiert wird: Das Militär ist männlich. Männlich über alle Grenzen hinweg, auch wenn Frauen in vielen Armeen auch als Kombattantinnen zugelassen werden. (4) (4) siehe dazu u.a. Astrid Albrecht-Heide, Patriarchat, Militär und der moderne Nationalstaat, in: antimilitarismus information Nr. 6/1990
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Der Gegenstand unseres Interesses: militärische Aktivitäten

Auch die Frage, was “militärische Aktivitäten” seien, ist auf den ersten Blick leicht beantwortbar: Sicherlich, sobald organisiert und kollektiv physische Gewalt angewendet, oder der Krieg vorbereitet wird, d.h. Manöver durchgeführt und Rüstungsbeschaffungen, Personal- oder Strategieplanungen betrieben werden, ist die Antwort, “dies sind originär militärische Aktivitäten”, noch einfach. Aber unser “Projekt Militärchronik” will dabei nicht stehenbleiben. Wir fragen nach dem gesellschaftlichen Handeln der Militärs auch jenseits der ihm offiziell und konstitutionell zugeschriebenen engen Aufgaben. Deshalb mußte der gesamte Bereich der öffentlichen Präsenz des Militärs – Paraden, Kranzniederlegungen, Gelöbnisse, Flugschauen, Tage der offenen Tür und Staatsbesuche, um nur einige zu nennen – miteinbezogen werden. Hier wird der Unterschied zu anderen Ansätzen besonders deutlich: Das “Projekt Militärchronik” begreift Militär als eine Institution sui generis, weil sie alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt und prägt – Militär ist eben kein Zweckverband neben anderen, sondern gehört in das Zentrum der Politik und der staatlichen Existenz. Die Landesverteidigung, also das, wofür Militär theoretisch zuständig ist, erweist sich als nur eine, und keineswegs die wichtigste militärische Beschäftigung.
Das Militär ist offenbar gesellschaftlich derart akzeptiert, daß seine allgegenwärtige Präsenz in der Öffentlichkeit als selbstverständlich hingenommen wird, und die Vorstellung, ein Staat, der von niemandem bedroht wird, könnte auf sein Militär verzichten, extreme Irritationen und Verunsicherungen auslöst. Darum gingen wir berichtend auch der Frage nach: Was tut das Militär, um als Institution diesen hohen Stellenwert inne zu haben, und anscheinend fortwährend erfolgreich zu reproduzieren?
Das Militärische durchdringt die Gesellschaft weitaus stärker, als es uns zumeist bewußt ist. Seine bloße Existenz scheint bereits als rationale Begründung auszureichen: Weil es Militär gibt, ist seine Existenz bereits gerechtfertigt. Zugleich wird die in Weltmaßstab epidemische physische Gewaltanwendung als eine der möglichen und als möglich gedachten Konfliktlösungen immer wieder reproduziert, wird der Krieg zu einem “sozial akzeptierten Tatbestand”. Wenn die „100 Tage” versuchen, die sehr unterschiedlichen Aktivitäten des Militärs weltweit zu dokumentieren, so geht es auch darum, Ansatzpunkte zu nachhaltiger Militärkritik zu geben: Das Militär schafft eben die Probleme, für deren Lösung es sich dann selbst empfiehlt – es ist selbst das Problem.
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Zu Vorgehensweise und der daraus entstandenen Systematik

Die dritte Schwierigkeit, die sich auftat, war die Frage nach Darstellungsweise und Strukturierung des Materials. Es gab zwei Möglichkeiten: eine Chronologie oder – wofür wir uns schließlich entschieden – eine Chronik der Ereignisse und Aktivitäten. 
Eine Chronologie hätte Tag für Tag nacheinander alle militärisch relevanten  Vorkommnisse einfach aufgelistet. Da sich jeden Tag 30, 40, 50 oder noch mehr Notizen und Berichte in den Zeitungen finden lassen, die das Militär zum Gegenstand haben, hätte zwar dessen massive Präsenz mittels Quantität dramatisch deutlich werden lassen. Die Chronologie wurde aber von uns fallengelassen, weil diese Form der Darstellung die Möglichkeit, das Geschehen als Leser oder Leserin strukturell zu erfassen, verhindert hätte. Niemand kann eine derart massive Auflistung von Schlagzeilen lesen.
Die Chronik versucht hingegen, die Ereignisse nicht nur faktisch zu registrieren, sondern sie eher als Geschichte zu erzählen. Auch wenn dabei manche Ereignisse verloren gehen, erschien uns diese Form der Darstellung vorteilhaft, weil sie lesbar ist. So kann sie der Intention, militärische Aktivitäten weltweit darzustellen, zu kommentieren und der Kritik zu überantworten, weitaus näher kommen. Damit nicht nur Fakten aufgelistet sondern eine Geschichte erzählt werden kann, müssen die Nachrichten thematisch sortiert und in einen Sinnzusammenhang gebracht werden. Da wir uns hierbei nicht von einer geographischen – und damit länderzentrierten – Darstellung den Blick versperren lassen wollten, galt es ein eigenes Ordnungsschema zu entwickeln. Dabei entstand eine Struktur in drei Ebenen: Zunächst thematisch, erst darunter geographisch und wiederum darunter zeitlich, wobei Vor- und Rückgriffe nicht ausgeschlossen wurden. 
Das wichtigste Ordnungskriterium findet sich auf der obersten Ebene, in der thematischen Gliederung. Schließlich, nach langen und intensiven Diskussionen, entstand eine Einteilung in zehn Abschnitten. Diese inhaltliche Gliederung und die Begründungen für die einzelnen Rubriken oder Abschnitte bilden so etwas wie den analytischen Kern unserer Arbeit und reflektieren unsere Erfahrungen und Erkenntnisse, die aus der Beschäftigung mit dem Datenmaterial entstanden sind.
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Impressum

Herausgeber Ekkehart Krippendorff
Arend Wellmann
Markus Euskirchen
unter Mitarbeit von Thomas Bünte, Henrik Flor, Sandra Gremblewski, Eleonora Guzy, Inger Hatzky, Monika Hermanns, Jacob Jacobson, Alexander Janthur, Martin Jaschke, Lars Jochimsen, Christoph Kamps, Boris Karkowski, Robert v. Klot, Björn Kühne, Ortrud Lange, Karsten Leckebusch, Andreas Matern, Tonasz Nowak, Regina Passier, Katja Pohlmann, Ingo Strater, Maximilian Vollendorf, Sebastian Warnemünde, Andreas Wutta
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100 Tage Militär. Exemplarischer Tätigkeitsbericht über das älteste und größte Gewerbe der Welt, Bremen (Donat) 2000, 188 S., 28,- DM, ISBN 3-931737-90-X
Donat Verlag -Antiquariat, Buchversand-
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Fax: (0421) 27 51 06
mailto:100tage@euse.de
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Rezensionen

Dirk Ekkert  Philtrat 36
Kristian Zitzlaff antimilitarismus information (ami) 12/00, 58ff
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