Beitrag für das Podium »Gegen Militarisierung der Innenpolitik«

am 22.5.2006 im Abgeordnetenhaus Berlin
anläßlich der Öffentlichen Anhörung der Bundestagsfraktion DIE LINKE
„Bundeswehr im Abseits. Für die Beibehaltung des Grundgesetzes – keine Militäreinsätze im Inland!“

In der Diskussion um Militäreinsätze im Innern wird oft übersehen: Der Bundeswehreinsatz im Innern ist schon immer rechtmäßige Selbstverständlichkeit – und zwar im Hinblick auf die öffentlichen Militärrituale der Bundeswehr. Die Standortkommandeur beantragt eine Sondernutzungsgenehmigung bei der zuständigen Kommune (wie jeder Jahrmarktbetreiber), dann richtet er einen militärischen Sicherheitsbereich ein und schon ist der Militäreinsatz im Innern mit Feldjägern und allem drum und dran formal legal.

Seit der Gründung der Bundeswehr finden die öffentlichen militärischen Spektakel statt, ein frühes Beispiel wäre z.B. der Zapfenstreich mit Fackelmarsch im Rahmen des Staatsbesuchs von deGaulle 1962. Übrigens pflegte auch die NVA den Zapfenstreich und hatte sich nach 1990 nur mit einer leicht geänderten Musikauswahl anzufreunden: von den Sowjet-Hymnen zurück zum christlichen Liedgut.

Nach der Vereinigung 1990 nahmen nicht nur die Kriegsbeteiligungen und Kriegführung der Bundeswehr im Ausland zu. Damit einher ging die Zunahme von Militärritualen und die Militarisierung öffentlicher Räume durch Uniformträger. Am deutlichsten war das in Berlin wahrnehmbar, wo in den 1990ern die großen repräsentativen Militärrituale nach und nach etabliert wurden.

Was in der BRD regelmäßig stattfindet, läßt sich überblicksartig dartstellen. Folgende vier Typen von Militärritualen übt die Bundeswehr aus (und in aller Regel auch in den Militärapparaten anderer Staaten):

Bsp. Bundeswehr Ritualtyp Diskursive Praxis/Hauptfunktion
Gelöbnis Initiation Integration
(gesellschaftlich/innermilitärisch)
Staatsempfang (Parade) Imponier Visualisierung (Staats-aussen/-innen)
Staatsbegräbnis
„Volkstrauertag“
Trauer nationale Heldenproduktion
Kranzniederlegung Gedenk Geschichtskonstruktion
Zapfenstreich religiöse Überhöhung

Der Zapfenstreich fällt aus der Kategorisierbarkeit heraus und bildet auch militärgeschichtlich eine deutsche Eigenheit.

Diese Militärrituale fanden zwar seit es die Bundeswehr gibt immer auch öffentlich statt, blieben aber meist nicht unkritisiert: Immer wieder gab und gibt es Kundgebungen und Demonstrationen. Selbst in Gegenden wo die Bundeswehr in der Masse der Bevölkerung breit verankert ist: Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit wären hier Mittenwald in Bayern und Wilhelmshaven an der Nordsee.
Aus dem parlamentarischen Spektrum waren bei derartigen Protesten neben der PDS auch Basisgrüne und Jusos wahrnehmbar beteiligt. Und das obwohl ihre eigenen Parteifreunde und -freundinnen als Regierende die aktuellen Kriege zu verantworten hatten.
Hin und wieder waren Ablehnung und Proteste so heftig, dass sie dazu führten, dass die Bundeswehr in ihre Kasernen oder hinter die Schutzzäune von Polizei und Feldjägern zurückwich. So 1980 nach den Straßenschlachten um das Bremer Weserstadion, in dem Zapfenstreich und Gelöbnis stattfanden oder angesichts der jährlichen Gelöbnix-Proteste seit 1996 in Berlin gegen das zentrale Großgelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli.

Vielleicht ist noch hervorzuheben: Mit zunehmender Kriegsbeteiligung ist ein Ritualtyp neu im Kommen – und zwar das Trauerritual. Überwintert hat es in den Ehrenwachen für die eines natürlichen Todes gestorbenen Staatsoberhäupter und wichtigsten Würdenträger.
Derzeit experimentiert die Bundeswehr mit neuen Formen. Ziel ist ein Trauerritual für die öffentlichkeitswirksame Präsentation tot aus ihren Einsatzländern zurückkehrender Soldaten. Der öffentliche Umgang mit den zu erwartenden toten Soldaten war z.B. im vergangen Jahr Thema in Strausberg bei einer Konferenz mit Öffentlichkeitsoffizieren und hohen Medienrepräsentanten (ich nenne nur Zeit-Chefredaktion, ARD-Nachrichten). In Strausberg sitzt die sogenannte Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr. In vor-orwellschen Zeiten hieß diese Einrichtung Amt für psychologische Kriegführung. Auch die gegenwärtige Diskussion um ein sogenanntes Ehrenmal für die Gefallenen der Bundeswehr gehört hier her. Der aktuelle Vorschlag sieht ein Ehrenmal auf den Innenhof des Bendlerblocks vor – in direkter Verbindung mit dem Denkmal für die dort von den Nazis hingerichteten Offiziere des 20. Juli.

Nach meiner ersten freudigen Reaktion auf die Einladung hier zu sprechen, kam ich auch ins Nachdenken über die PDS: Sie tritt mit dieser Veranstaltung hier auf als die letzte Bastion parlamentarischer Militärkritik. Dabei hat sie, gerade im Hinblick auf die Rolle eigener führender Parteivertreter in bestimmten staatspolitischen Funktionen allen Grund, die Militarisierung der eigenen Politik zu diskutieren.
Drei Beispiele um zu verdeutlichen, was ich meine. Mir geht es dabei nicht um die Personen, sondern um die staatspolitischen Funktionen, in denen auch Vertreter der PDS meinen, nicht anders handeln zu können als die, für die Militär, militärische Drohungen und Kriegführung ganz normale Mittel der Politik sind.

  1. Im Jahre 2002 titt der US-Präsident im Reichstagsgebäude auf und darf seine Kriegspolitik propagandistisch ausbreiten. PDS-Vertreter nutzen die prominente Bühne, um dieses Spektakel umzudefinieren: Sie fordern den obersten Befehlshaber der US-Armee und Kanzler Schröder mit einem Transparent auf, ihre Krieg einzustellen. Teile der PDS-Führung haben nichts besseres zu tun als sich öffentlich zu entschuldigen.
  2. Ein PDS-Senator in Berlin hält als vertretender Bürgermeister am 20. Juli 2003 die offiziellen Feiertagsreden. [ref] Alle folgenden Zitate sind den beiden Bürgermeisterreden dieses Tages entnommen:
    Rede zum 20. Juli in der Gedenkstätte Plötzensee
    Rede zum 20. Juli im Roten Rathaus
    [/ref] Er reproduziert exakt die Eckpunkte der herrschenden Vergangenheitskonstruktion, mit der auch die Bundeswehr arbeitet:
    • Hierarchisierung des Widerstandes mit dem Offizierswiderstand an der Spitze, [ref] „Wir gedenken mit den Opfern des 20. Juli stellvertretend auch all jenen, die – in welcher Form auch immer – aufbegehrt haben. Viele von ihnen sind ohne Namen geblieben. Unser Respekt aber gilt ihnen gleichermaßen. Und doch war es wohl vor allem jener 20. Juli 1944, der den deutschen Widerstand gegen Hitler ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit rückte. Vielleicht hat es dieser offene Aufstand dem Ausland später auch erleichtert, nach 1945 überhaupt wieder zu einer Versöhnung mit Deutschland zu finden.“ (Herv. ME) [/ref]
    • Idealisierung des konservativen, deutschnationalen, obrigkeitsstaatlich orientierten Offizierswiderstands als Gewissenswiderstand, [ref] „In der Bewertung dieses Tages kommt hinzu, dass es den Frauen und Männern des 20. Juli nicht um Macht ging, wie so oft bei anderen Putschversuchen. Es war allein die Macht des Gewissens, die sie zu jener Tat trieb.“ (Herv. ME) [/ref]
    • implizite Leugnung der Leistung von Deserteuren durch die Behauptung der Beispiellosigkeit des Offizierswiderstands im Bezug auf den Gehorsamsbruch, [ref] „Die Offiziere des 20. Juli brachen in beispielloser Weise mit der überlieferten Verpflichtung zum Kadavergehorsam.“ (Herv. ME) [/ref]
    • totalitarismustheoretische Einebnung und 1989 als Ende der Geschichte. [ref] „Indem wir dem Mut dieser Frauen und Männer Respekt zollen, zeigen wir auch, welches Vermächtnis wir mit diesem Tag verbinden: Die Verpflichtung nämlich niemals mehr staatliche Gewaltherrschaft, Totalitarismus und Unrecht zuzulassen.“ (Herv. ME) [/ref]
  3. Im Jahre 2005 feiert die Bundeswehr ihr 50jähriges Bestehen mit einem Zapfenstreich vor dem Reichstag in Berlin. PDS Parlamentarier sprechen sich zwar schriftlich gegen die Veranstaltung aus. [ref] „Globale Einsatzarmee und Großer Zapfenstreich – Ohne uns!“ [/ref] Der Zapfenstreich selbst läuft jedoch ungestört ab. Den feierlichen Empfang zum gleichen Anlaß beehren die Parlamentarier mit ihrer schweigend Anwesenheit.

Die Beispiele zeigen: Auf staatspolitische Funktionsträgern lastet offensichtlich ein unheimlicher Druck, sich einem militarisierten Grundkonsens innerhalb der politischen Elite zu beugen. Wird dieses sich Beugen zur Regel, dann wird alle militärkritische Profilierung bedeutungslos und beliebig – schlimmer noch: Sie wird zur Bauernfängerei (vgl. die Geschichte der Grünen).
Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Innere Militarisierung ist auch eine parteipolitische Auseinandersetzung der PDS um den Umgang mit diesem Peer-Gruppen-Druck. Wenn die Partei es mit ihrer Kritik der Militarisierung im Innern ernst meint, dann muss sie ihren Funktionsträgern das militärkritische Rückgrat stärken. Nicht nur wenn es mit der Bevölkerungsmehrheit im Rücken gegen völkerrechtswidrige Angriffskriege geht, sondern auch im Hinblick auf die militarisierte Volks- und Elitenkultur der feierlichen Militärrituale.

Fußnoten:

Ein Gedanke zu „Beitrag für das Podium »Gegen Militarisierung der Innenpolitik«“

  1. Absolut einverstanden. Um aber dahinzukommen (eine bewußtere und konsequentere anti-militärische Haltung) wäre es sinnvoll und notwendig, wenn die „deutsche Linke“ (ob marxistisch oder nicht) ihre historisch überwiegend taktische Einstellung zu Militär und Krieg selbstkritisch reflektiert: Pazifistisch war die politische Linke nie – bis auf wenige Randfiguren – auch wenn sie gegen den (imperialistischen) Krieg war. Weil die heutige Linke so tut, als sei sie selbstverständlich immer pazifistisch gewesen – ohne wenigstens systematisch darüber nachzudenken, was Pazifismus bedeutet – kommt sie bei solchen Anlässen immer wieder ins Trudeln und verhält sich dann, wie geschildert, taktisch je nach den konreten Umständen und möglichst unprovokativ.

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