Eine Zensur findet nicht statt.

Das Buch des Verlages Assoziation A (bekannt durch seine regelmäßigen Publikationen zur linken Bewegungsgeschichte) soll auf bundesministerielles Betreiben hin und auf der Grundlage von Jugendschutzgesetzen verboten werden. Es beschäftigt sich mit zwei Jahrzehnten Protestbewegung in der BRD des späten 20. Jahrhunderts: Gegenstand sind „Die Autonomen in Bewegung“. Das Buch ist ansprechend bebildert, die Darstellung ist sinnvoll in Textsorten gegliedert: Ein fortlaufender Text beschreibt und analysiert. Eine Zeitleiste ordnet den Kontext. Kurze Textboxen belegen die Analyse mit Quellenmaterial, methodologisch angelehnt an den Stil der „Oral History“. Die notwendigerweise subjektiven Oral-History-Passagen des Buches durchzieht eine affirmative Haltung zu politischer Militanz. Dies wird beanstandet und als Vorwand fĂĽr den Zensurversuch herangezogen.
Die mit einem Verbot nach Jugendschutzgesetz verbundenen Einschränkungen kommen einer ökonomischen Zensur gleich. Wäre dieser Zensurversuch erfolgreich, so wäre es eine dramatisches Beispiel dafür, wie publizistische Arbeit an historischen Quellen durch staatliche Intervention je nach staats-politischer Opportunität reguliert, behindert bzw. verunmöglicht wird.

Der Rundbrief des betroffenen Verlages:

Von: hamburg@assoziation-a.de
Datum: 19. Mai 2006 17:49:31 MESZ
Betreff: Indizierungsantrag gegen „Autonome in Bewegung“
Antwort an: Verlagsnewsletter Assoziation A

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor kurzem teilte uns die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien mit, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Indizierungsantrag gegen das mittlerweile vier Jahre alte Buch „Autonome in Bewegung“ gestellt hat.

Offenbar versucht das Ministerium neben der Propagierung christlicher Werte, wie Disziplin, Höflichkeit oder Respekt, nun auch gegen politisch missliebige Publikationen und deren Herausgeber vorzugehen.

Eine erfolgreiche Indizierung würde bedeuten, dass unser Buch nur noch unter der Ladentheke verkauft werden dürfte, keine Werbung, keine Auslage, kein Versand, die Kontrolle der Ausweispapiere beim Verkauf. Außerdem würden die Barsortimente den Titel nicht mehr vertreiben und Buchhändler, die über die Indizierung wachen müssen, würden den Titel aus dem Sortiment nehmen. Die materielle Schädigung für den Verlag wäre auf jeden Fall erheblich.
Aber vor allem wĂĽrde eine Indizierung des Buches einer politischen Zensur gleichkommen.

Die Darstellung und kritische Reflexion der linken Geschichte und der sozialen Bewegungen bildet seit Jahren einen thematischen Schwerpunkt des Verlages Assoziation A, der sich in SachbĂĽchern und Romanen niedergeschlagen hat.
So geben die Romane Nanni Balestrinis einen genauen Eindruck vom Lebensgefühl der Akteure der italienischen autonomen Bewegungen wider. Paco Ignacio Taibos Romane sind ein fortlaufender kritischer Kommentar der mexikanischen Geschichte, so beispielsweise in seinem letzten Krimi, den er zusammen mit Subcomandante Marcos verfasst hat. Die Übersetzungen französischer Neopolar-Kriminalromane haben die Studentenbewegung, die Migration oder die Judenverfolgung in Frankreich zum Thema.
Die Goldene Horde von Moroni/Balestrini ein Standardwerk über die jüngere italienische Geschichte, gehören wie die Arbeit zum Operaismus von Steve Wright „Den Himmel stürmen“ zum Verlagsprogramm. Demnächst kommt mit der Wiederauflage von „Brigate Rosse“, einem Interviewband von Rossana Rossanda und Mario Moretti, eines der wichtigsten Bücher zum bewaffneten Kampf in Italien wieder auf den Markt.
Dem visuellen Ausdruck der sozialen Protestbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland haben wir zwei breit rezipierte PlakatbĂĽcher gewidmet.

Das Buch „Autonome in Bewegung“ beschreibt ausführlich bebildert und durch viele Selbstzeugnisse anschaulich autonome Politik in Berlin seit 1980. Die Geschichte der Hausbesetzungen, der Kampf gegen die Startbahn-West, die Aktionen zum IWF-Gipfel in Berlin 1988, Anti-AKW Kampagnen und vieles mehr werden nicht nur beschrieben, sondern es wird auch der Versuch unternommen, die Beweggründe der Akteurinnen und Akteure darzulegen. Die Überzeugungen und politischen Ideen, aber genauso die Emotionen und Leidenschaften sind für das Verständnis der Autonomen von entscheidender Bedeutung.

Das Bundesministerium beanstandet vor allem Stellen und Textpassagen, die aus Erinnerungen und Reflexionen bestehen und als Zitate von autonomen Zeitgenossen graphisch gekennzeichnet sind. Natürlich geht es dabei auch um Militanz, um ihre Beschreibung, Problematisierung und Kritik. Für das Verständnis eines so wichtigen Abschnitts linker Politik ist die Auseinandersetzung um Militanz bedeutend und darf auf keinen Fall zensiert werden.

Würde ein Buch wie „Autonome in Bewegung“ tatsächlich auf den Index kommen, müsste tatsächlich mit einer Flut von weiteren Anträgen – nicht nur gegen Bücher unseres Verlages – gerechnet werden, da die Vorwürfe auf zig Sachbücher und Romane übertragbar wären.

Deshalb betrifft dieser Zensurversuch auch alle, die als Verlage, AutorInnen, JournalistInnen und Leserinnen und Leser an einer weiteren Diskussion ĂĽber Inhalte und Ziele linker Politik interessiert sind.

Wir werden Sie über den weiteren Verlauf dieses Indizierungsverfahrens auf dem Laufenden halten und bitten Sie, uns zu helfen, diese Vorgänge publik zu machen. Nur eine öffentliche Diskussion und Verbreitung kann solche – immer wiederkehrenden – Zensurversuche verhindern.

Mit herzlichen GrĂĽĂźen

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