Wochenende in Bil’in

208722.jpgIndymedia in all seiner Widersprüchlichkeit bringt ein ganz gutes Bild, in Text und Fotos, von der Demo in Bil’in, auf der ich am Wochenende auch war (und ein Bericht mit Fotos). Nur irgendwie – dadurch dass bei Indymedia und auch sonstwo im deutschsprachigen linken und linksradikalen Diskurs sich alles immer mehr oder weniger zwischen den beiden Polen Palästina-Soli und Israel-Sympathie meint verorten zu müssen (und dementsprechend ausblendet bzw. richtigstellt) oder eben gar nix sagt (was gegenüber den ersten beiden Möglichkeiten immer noch das Beste ist), gehen eigentlich interessante Perspektiven unter.

Denn quer zur identifikatorischen Politik (sei sie gemäßigt oder fundamentalistisch) mit der einen oder anderen Seite, gibt es noch viel mehr und interessantes. Z.B. den Beschluß des Obersten Gerichtshofes für Bil’in, dass der Zaun tatsächlich verlegt werden muß, was aber seit Monaten nicht passiert (vgl. den letzten Absatz im Wikipedia-Artikel). Es ließe sich überspitzt formulieren: Die Demo in Bil’in richtet sich gegen die Aushöhlung und Verhöhnung des israelischen Rechtsstaates durch die Besatzungsapparate.

Arbeitsteilung: Einer sammelt, einer schleudert.Dass bei der Demo Steine fliegen, ist vielleicht ein Widerspruch, aber nicht schlimm: Die Materialität von Gewalt kann ich nur im konkreten Kontext bewerten: Eine Steinschleuder gegen ein beinahe ausserhalb der Reichweite auf der Anhöhe geparktes Panzerfahrzeug ist wie in Berlin ein lauter Fluch gegen einen Polizeieinsatzwagen: hilfloser Ausdruck von Machtlosigkeit – allenfalls symbolisch eindrucksvoll und vielleicht irgendwie wirksam durch das starke David-Goliath-Zitat.

Wohingegen mir die Menschen- und Bürgerrechtsschiene (“Wir als Dorf haben ein recht, zu unserem Gemeindeland zu gelangen, es zu bearbeiten und lassen uns nicht durch Militär- und Besatzungswillkür einschüchtern”) die einzige Zukunft für die Menschen in der Region zu sein scheint – sowohl in Israel (wo die Militarisierung aufgrund der Zwänge der Besatzung die Gesellschaft “von innen verrotten läßt”, wie ich in den letzten Wochen so häufig gehört habe), als auch in den besetzten Gebieten: Dort hat eine Bevölkerung schon genug zu leiden unter der Strangulierung des öffentlichen Lebens durch die Besatzungs- und Kontrollpolitik mittels Mauer, Zaun und Checkpoints. Und dann wird sie auch noch mehr oder weniger zur Geisel der verschiedenen Fraktionen, die um die Macht und den Einfluss in den Apparaten des erhofften Staates Palästina kämpfen. Nicht so sehr die bizarren Vernichtungsphantasien Richtung Israel schockieren mich, sondern eher dieser sichtbare Kampf um die Macht im kommenden Staate, der aus einer extrem gewalthaltigen Situation entstanden sein wird und entsprechend autoritär und gewalthaltig gestaltet sein wird. Und damit meine ich nicht in erster Linie in seiner Aussenpolitik, denn dafür wird der Staat Israel immer sorgen können: Dass ein Staat Palästina nach außen schwach bleibt.

Allerdings: woraus soll hier noch ein alleine schon in der Fläche geschlossener Staat werden? Die Zersiedelung der militärisch besetzten Westbank durch israelische Siedlungen unterschiedlichster Art, Ideologie, Größe, etc. ist soweit fortgeschritten, dass Palästina auf der Landkarte tatsächlich schon aussieht wie Apartheid-Südafrika. Demnächst könnte die letzte offene Verbindung zwischen dem südlichen und dem nördlichen Teil der Westbank durch die Inbetriebnahme eines neuen israelischen Polizeihauptquartiers gekappt werden (zwischen Jerusalem und dem Toten Meer, westlich der Siedlung Ma’ale Adumim). Bethlehem und Kalkilia z.B. werden derzeit zu komplett abgesperrten Städten. Allein die hohen Herren des des palästinensischen Widerstandes sehen oder wollen das noch nicht sehen. Denn wenn sie – wie die schwarzen Südafrikaner – auf eine Bürgerrechtsbewegung – realistischerweise vielleicht sogar in nur einem Staat – setzen würden, dann gingen ihnen die Perspektiven verloren, unter Mobilisierung des größtmöglichen palästinensischen Nationalismus’ selbst Staatsmänner zu werden oder Polizeichef, oberster Geheimdienstler oder General.

Und jetzt lasse ich mich zu einer vielleicht paternalistischen, eurozentristischen Beurteilung hinreißen: Um letzteres geht es beim bewaffneten Kampf nationalistischer Gruppen hier – ob religiös oder nicht: Wer wird was im Staat in spe. Solange es also die palästinensischen Basisgruppen und Gemeinden (also weniger Politgruppen und Parteien als vielmehr Großfamilien, Dorfgemeinschaften) nicht schaffen, sich von den Partei- und Bewegungsführern mit ihrer militarisierten, nationalistischen Symbolpolitik zu emanzipieren und ihre eigene Politik in Form einer für die konkrete Situation spezifischen Menschenrechtsbewegung zu machen, solange wird es hier nur Regen und Traufe geben. Und der Kampf der Dorfgemeinschaft Bil’in ist – vor allem vor dem Hintergrund der dreijährigen Geschichte ihrer Proteste – ein Kristallisationspunkt für genau diesen Emanzipationsprozeß. Und dass dieser Prozess nicht blind für Klassen- und Produktionsverhältnisse bleibt, dass Menschenrechte nicht nur als Bürgerrechte, sondern als soziale Rechte verstanden werden, daß sie erkämpft werden und dass dieser Kampf nicht irgendwann zufrieden aufhört, sondern die umkämpften Positionen ständig mit dem Sinn fürs je mögliche radikalisiert werden, dafür könnte sich eine Linke oder Linksradikale (ob israelisch oder international) durchaus mitverantwortlich fühlen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert