Bundeswehr liest langsam aber sicher.

Was die Bundeswehr in Form ihres „MilitĂ€rgeschichtlichen Forschungsamtes“ in Potsdam von „MilitĂ€rrituale“ hĂ€lt, schreib sie in ihrer hauseigenen Zeitschrift – immerhin schon 2008, erst drei Jahre nach Erscheinen des Buches. Insbesondere das Fazit des Rezesenten klingt je nach Lesestandpunkt entweder hilflos oder bedrohlich.

(…) Eng mit dem Bereich militĂ€rmusikalischen Auftretens verknĂŒpft ist das weite Feld des militĂ€rischen Zeremoniells. Wenn auch in den letzten Jahren dieses Thema im Rahmen der höfischen Gesellschaft wieder von der Geschichtswissenschaft >entdeckt< wurde, so blieb bisher dessen Interpretation auf dem soldatischen Sektor eher unbeachtet. Dem sucht die Studie von Markus Euskirchen, MilitĂ€rrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, zu begegnen. Wie schon der Untertitel verrĂ€t, definiert der Verfasser den Einsatz von >Ritualen<, so die zeremoniellen AblĂ€ufe dem religiösen Sektor konnotierend, als Machtmittel in der Hand militĂ€rischer Vorgesetzter, letztendlich als Ausdruck des Gewaltmonopols des Staates. MilitĂ€rritual als EinĂŒbung in die Unterordnung, so begreift es der Verfasser, dessen Arbeit an der Berliner Freien UniversitĂ€t 2004 als Dissertation angenommen wurde. In drei lĂ€ngeren Kapiteln zu Ritualtheorien und dem VerhĂ€ltnis von MilitĂ€r, Staat und Nation und der Rolle des MilitĂ€rs in einem differenzierten Gewaltsystem wird die sattsam bekannte Kapitalismuskritik mehrfach wieder aufgekocht, ohne dass sie deshalb genießbarer wĂŒrde. Euskirchen unterscheidet zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt im spĂ€tkapitalistischen System, die sich wechselweise und gegenseitig bedingen bzw. ergĂ€nzen, wobei letztere dazu benutzt werden kann, wie der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, auf dessen Konstruktionen sich der Verfasser weitgehend bezieht, indiziert, »direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren« (S. 64). Die direkte Gewalt im MilitĂ€r werde durch Normenfalle, Überlastung und Drill hergestellt, die strukturelle Gewalt sieht Euskirchen in einer immer noch patriarchalisch geprĂ€gten Geschlechterkodierung, bei der die inzwischen in die Truppe integrierten weiblichen Soldaten versuchen, sich dem geforderten MĂ€nnlichkeitstypus anzunĂ€hern bzw. anzupassen, mithin die besseren MĂ€nner zu sein. Der kulturellen Gewalt im militĂ€rischen Rahmen obliege schließlich, so die Meinung des Verfassers, die Verschleierung realer Gewalt zur Rechtfertigung derselben. Das in Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule konstruierte IdeologieverstĂ€ndnis Euskirchens nennt die Ideologie, »die der Rechtfertigung der bĂŒgerlichen HerrschaftsverhĂ€ltnisse und der damit einhergehenden MilitĂ€rgewalt zugrunde liegt, [...] den Kern kultureller Gewalt in der bĂŒrgerlichen Gesellschaft« (S. 89). Diese kulturelle Gewalt werde in den MilitĂ€rritualen || als Herrschaftsritualen sichtbar, die IdentitĂ€tsstiftung nach innen bewirken und staatliches Gewaltpotenzial nach außen signalisieren. Damit kommt der Verfasser zum eigentlichen Thema, dem von ihm beharrlich und bewusst als Ritual bezeichneten militĂ€rischen Zeremoniell. Zum besseren VerstĂ€ndnis zeremonieller AblĂ€ufe wird die Spezialtruppe der Bundeswehr zur DurchfĂŒhrung derselben, das Wachbataillon des Bundesministeriums der Verteidigung, in einem Exkurs vorgestellt. Trotz der eingehenden Informationsmöglichkeiten, die ihm die Bundeswehr bot, offenbart der Autor in einer oberflĂ€chlichen und zum, Teil sehr ungenauen Recherche, wie fremd ihm diese Welt geblieben ist. Den von der Bundeswehr noch heute gepflegten Zeremoniellen wie Gelöbnis (»Initiationsritual«), Fahnenbandverleihung und Staatsempfang (»Protokollarisches Imponierritual«), Trauerzeremoniell, Kranzniederlegung am Ehrenmal und im Bendlerblock und Großer Zapfenstreich ordnet er bestimmte Funktionen zu wie Initiation, Machtvisualisierung, Traditionspflege und Todessehnsuchtsproduktion, allesamt Äußerungen kultureller Gewalt zur Legitimierung struktureller Gewalt. In einem Schlusskapitel wird dann so recht die Stoßrichtung des Ganzen deutlich, wenn die betonte Notwendigkeit einer radikalen Ritualkritik eigentlich radikale MilitĂ€rkritik und damit letztlich Herrschaftskritik ĂŒberhaupt meint, deren Möglichkeiten (»Das Schwören stören«) und Grenzen (totale Kriegsdienstverweigerung, Desertion) der Verfasser empathisch und richtungsweisend referiert. Die »UnterdrĂŒckungsmechanismen«, die der Staat zum Schutz seiner öffentlichen MilitĂ€rauftritte vor radikalen MilitĂ€rgegnern aufbieten muss, ermöglichen es immerhin seinen Gegnern, im Schutze eben dieser StreitkrĂ€fte ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen und Gedanken, wie die hier vorgestellten, ohne Gefahr vertreten und publizieren sowie dem Rezensenten zumuten zu können.

von: Karlheinz Deisenroth; in: MGZ 67 (2008) (Zeitschrift des MilitÀrgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr (MGFA), Potsdam), S. 193f.

7 Gedanken zu „Bundeswehr liest langsam aber sicher.“

  1. …na, immerhin eine ziemlich saubere Inhaltsangabe. Das ist doch schonmal was. Der Schlusssatz ist natĂŒrlich der Klassiker: Wir erlauben es euch, euren Unmut gegen uns Kund zu tun (Meinungsfreiheit). Zwischen den Zeilen schwingt bei diesem Satz immer mit: Deswegen sind wir toll! Und unausgesprochen bleibt dabei: Wir dulden es, solange es bei der Meinung bleibt und die Kritik nicht in die Praxis umschlĂ€gt.

  2. Mich erinnerte der letzte Satz (wahrlich ein Klassiker) gleich an Ronald M. Schernikau:

    „daß du diese kritik so frei Ă€ußern kannst! es beweist, daß sie nicht stimmt! – das ist die drohung mit dem faschismus. sie ist immer da.“

    Ronald M. Schernikau, Die Tage in L., Hamburg 1989, S. 20

  3. ich wollte was zum schlusssatz schreiben.
    …nachdem das andere schon vor mir taten, wirkt der hinweis darauf, „ohne gefahr vertreten und publizieren“ zu dĂŒrfen eher als macht und drohgebĂ€rde, als als hilflosigkeit…
    armer rezensent!

  4. Ihr seid die Armen! In einer Demokratie sollte jeder seine Meinung vertreten können und jeder sollte die Meinung des Anderen respektieren. Offenbar ist das linke Lager dazu nicht in der Lage. FĂŒr mich als Patriot war es eine SelbstverstĂ€ndlichkeit, meinem Land zu dienen. Dass ich dabei in vielen Bereichen mit der Außenpolitik unseres Landes nicht ĂŒbereinstimme (Stichwort: Afghanistan), Ă€ndert nichts an meiner Hochachtung fĂŒr die Soldaten, die fĂŒr uns (und damit auch fĂŒr euch!) dienen.

  5. Rezension hat getroffen – und zwar den Nagel auf den Kopf! Allein die beleidigte HinfĂŒhrung durch den Verfasser des rezensierten Buches spricht BĂ€nde. Zum Schlusssatz der Rezension: Wer dessen Sinn (Freiheit musste blutig erkĂ€mpft werden, nunmehr muss sie verteidigt werden) nicht begreift, sollte ihn besser nicht kommentieren, schon mal gar nicht mit der völlig unpassenden Faschismusvermutung. Merke: Die Antifa verkörpert selbst, was sie zu bekĂ€mpfen vorgibt!

  6. Der linke Blockwart hat zugeschlagen, oder: Wo ist mein Kommentar geblieben? Merke: Der kritisierte Linke ist schnell beleidigt und tilgt die Kritik – es könnte ja jemand schlau daraus werden!

  7. Geduld, Geduld, Herr Dr. Baur! Auch nach noch nicht ganz 5 Stunden gibt es keinen Grund, „Zensur“ zu blöken. – Aber ich kanns ja auch verstehen: Wer offenbar sonst nichts zu tun hat, als in MĂŒnster einen Stadtratssessel durchzusitzen und sich ĂŒber militĂ€rkritische Inititativen im vermeintlich eigenen Hinterhof zu Ă€rgern, dem kann schon mal die Hutschnur platzen im Laufe eines halben Tags ergebnislosen Reload-Button-DrĂŒckens…

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