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Bundeswehr liest langsam aber sicher.

Was die Bundeswehr in Form ihres „Militärgeschichtlichen Forschungsamtes“ [1] in Potsdam von „Militärrituale“ [2] hält, schreib sie in ihrer hauseigenen Zeitschrift [3] – immerhin schon 2008, erst drei Jahre nach Erscheinen des Buches. Insbesondere das Fazit des Rezesenten klingt je nach Lesestandpunkt entweder hilflos oder bedrohlich.

(…) Eng mit dem Bereich militärmusikalischen Auftretens verknüpft ist das weite Feld des militärischen Zeremoniells. Wenn auch in den letzten Jahren dieses Thema im Rahmen der höfischen Gesellschaft wieder von der Geschichtswissenschaft >entdeckt< wurde, so blieb bisher dessen Interpretation auf dem soldatischen Sektor eher unbeachtet. Dem sucht die Studie von Markus Euskirchen, Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, zu begegnen. Wie schon der Untertitel verrät, definiert der Verfasser den Einsatz von >Ritualen<, so die zeremoniellen Abläufe dem religiösen Sektor konnotierend, als Machtmittel in der Hand militärischer Vorgesetzter, letztendlich als Ausdruck des Gewaltmonopols des Staates. Militärritual als Einübung in die Unterordnung, so begreift es der Verfasser, dessen Arbeit an der Berliner Freien Universität 2004 als Dissertation angenommen wurde. In drei längeren Kapiteln zu Ritualtheorien und dem Verhältnis von Militär, Staat und Nation und der Rolle des Militärs in einem differenzierten Gewaltsystem wird die sattsam bekannte Kapitalismuskritik mehrfach wieder aufgekocht, ohne dass sie deshalb genießbarer würde. Euskirchen unterscheidet zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt im spätkapitalistischen System, die sich wechselweise und gegenseitig bedingen bzw. ergänzen, wobei letztere dazu benutzt werden kann, wie der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, auf dessen Konstruktionen sich der Verfasser weitgehend bezieht, indiziert, »direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren« (S. 64). Die direkte Gewalt im Militär werde durch Normenfalle, Überlastung und Drill hergestellt, die strukturelle Gewalt sieht Euskirchen in einer immer noch patriarchalisch geprägten Geschlechterkodierung, bei der die inzwischen in die Truppe integrierten weiblichen Soldaten versuchen, sich dem geforderten Männlichkeitstypus anzunähern bzw. anzupassen, mithin die besseren Männer zu sein. Der kulturellen Gewalt im militärischen Rahmen obliege schließlich, so die Meinung des Verfassers, die Verschleierung realer Gewalt zur Rechtfertigung derselben. Das in Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule konstruierte Ideologieverständnis Euskirchens nennt die Ideologie, »die der Rechtfertigung der bügerlichen Herrschaftsverhältnisse und der damit einhergehenden Militärgewalt zugrunde liegt, [...] den Kern kultureller Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft« (S. 89). Diese kulturelle Gewalt werde in den Militärritualen || als Herrschaftsritualen sichtbar, die Identitätsstiftung nach innen bewirken und staatliches Gewaltpotenzial nach außen signalisieren. Damit kommt der Verfasser zum eigentlichen Thema, dem von ihm beharrlich und bewusst als Ritual bezeichneten militärischen Zeremoniell. Zum besseren Verständnis zeremonieller Abläufe wird die Spezialtruppe der Bundeswehr zur Durchführung derselben, das Wachbataillon des Bundesministeriums der Verteidigung, in einem Exkurs vorgestellt. Trotz der eingehenden Informationsmöglichkeiten, die ihm die Bundeswehr bot, offenbart der Autor in einer oberflächlichen und zum, Teil sehr ungenauen Recherche, wie fremd ihm diese Welt geblieben ist. Den von der Bundeswehr noch heute gepflegten Zeremoniellen wie Gelöbnis (»Initiationsritual«), Fahnenbandverleihung und Staatsempfang (»Protokollarisches Imponierritual«), Trauerzeremoniell, Kranzniederlegung am Ehrenmal und im Bendlerblock und Großer Zapfenstreich ordnet er bestimmte Funktionen zu wie Initiation, Machtvisualisierung, Traditionspflege und Todessehnsuchtsproduktion, allesamt Äußerungen kultureller Gewalt zur Legitimierung struktureller Gewalt. In einem Schlusskapitel wird dann so recht die Stoßrichtung des Ganzen deutlich, wenn die betonte Notwendigkeit einer radikalen Ritualkritik eigentlich radikale Militärkritik und damit letztlich Herrschaftskritik überhaupt meint, deren Möglichkeiten (»Das Schwören stören«) und Grenzen (totale Kriegsdienstverweigerung, Desertion) der Verfasser empathisch und richtungsweisend referiert. Die »Unterdrückungsmechanismen«, die der Staat zum Schutz seiner öffentlichen Militärauftritte vor radikalen Militärgegnern aufbieten muss, ermöglichen es immerhin seinen Gegnern, im Schutze eben dieser Streitkräfte ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen und Gedanken, wie die hier vorgestellten, ohne Gefahr vertreten und publizieren sowie dem Rezensenten zumuten zu können.

von: Karlheinz Deisenroth; in: MGZ 67 (2008) [4] (Zeitschrift des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr (MGFA), Potsdam), S. 193f.

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