Klimawandelgewinner

Zwergohreule
Zwergohreule
Autillo“ by Álvaro RodrĂ­guez Alberich  CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons.

In diesem FrĂŒhjahr nahm ich ihn zum ersten Mal bewußt wahr: Einen mir exotisch klingenden, monotonen Pfeifton, regelmĂ€ĂŸig wiederkehrend – gefĂŒhlt alle 20 Sekunden, teilweise mit gleichklingendem aber weiter entferntem Echo. Eher in den Abend-, Nacht- und frĂŒhen Morgenstunden. Jetzt bin ich dem PhĂ€nomen mit Vogelstimmenvergleichen im Netz auf den Grund gegangen und bin sehr sicher, dass es sich um den Ruf der Zwergohreule handelt (nein: die App, die das automatisch macht, gibts noch nicht…).

Eigentlich sollte diese gerade mal knapp amselgroße Eulenart in unseren Breiten gar nicht vorkommen, geschweige denn brĂŒten, Wikipedia lehrt:

Mitteleuropa liegt am Nordrand des weiten Verbreitungsgebietes dieser Art, sodass sich die BestĂ€nde von jeher auf klimatisch begĂŒnstigte, meistens sĂŒdexponierte Lagen beschrĂ€nkten. Die nördlichsten BrutplĂ€tze lagen im Elsass, sie sind seit 1986 verwaist. Dennoch kommt es jedes Jahr (wahrscheinlich durch Zugprolongation) zu EinflĂŒgen auch ins zentrale Mitteleuropa, sodass gelegentliche Bruten in den sĂŒdlichen deutschen BundeslĂ€ndern und im Rheintal nicht auszuschließen sind.

Aber:

Die Zwergohreule gilt als eine der Arten, die vom Klimawandel profitieren wird. Ein Forschungsteam, das … die zukĂŒnftige Verbreitungsentwicklung von europĂ€ischen Brutvögeln auf Basis von Klimamodellen untersuchte, geht davon aus, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts das Verbreitungsgebiet der Zwergohreule sich nach Norden und Nordosten ausdehnen wird. … Zu den potentiell geeigneten neuen Verbreitungsgebieten zĂ€hlen unter anderem der SĂŒdosten Englands, DĂ€nemark, der Ă€ußerste SĂŒden Schwedens sowie der gesamte mitteleuropĂ€ische Raum. (Ebd.)

Hier, am Berliner Landwehrkanal zwischen Kreuzberg und Neukölln, scheint dieser Zugvogel, der seine Überwinterungsgebiete in den Baum- und GebĂŒschsavannen sĂŒdlich der Sahara findet, jetzt angekommen zu sein. Der durchdringende Ruf ist in den letzten Wochen auch im morgendlichen Vogelstimmengewirr kaum zu ĂŒberhören.

Dass sich wĂ€rmeliebende Arten zunĂ€chst in den StĂ€dten ansiedeln, ist angesichts der höheren Durchschnitts- und Spitzentemperaturen verstĂ€ndlich. Wir kennen das PhĂ€nomen von der Arbeit mit den Bienen aus eigener Erfahrung, die fĂŒhlen sich im milderen Berlin auch wohler als im Umland oder in Mecklenburg. Aber die Gemeinsamkeit zwischen Bienen und Waldohreulen, was die Vorteile einer urbanen Lebensweise angeht, gehen noch weiter, wieder Wikipedia:

Wie bei allen thermophilen, insektivoren Arten brachen die BestĂ€nde seit den 1960er Jahren dramatisch zusammen. Als Ursachen werden Lebensraumzerstörung und Beutemangel durch Biozideintrag sowie Klimafaktoren diskutiert. … Der Gesamtbestand dieser Eulenart in Mitteleuropa wird zurzeit 500 Brutpaare nicht ĂŒberschreiten. (Ebd.)

Also auch fĂŒr diese kleine Eulenart, die sich hauptsĂ€chlich von Insekten ernĂ€hrt, drohen Pestizideinsatz und die immer weiter um sich greifende Umgestaltung der Landschaft nach den ProfitmaximierungsbedĂŒrfnissen der großindustriellen Landwirtschaft zum VerhĂ€ngnis zu werden. Aufgrund der Bedrohtheit dieser Eulenart bitten BeitrĂ€ge in einschlĂ€gigen Foren darum, auch bei nachhaltiger Ruhestörung von Vertreibungsversuchen – etwa durch Beschallung mit Uhu-Rufen, einem natĂŒrlichen Feind der Zwergohreule – abzusehen. Wenn sie mich mal wieder vom Einschlafen abhĂ€lt, werde ich also sehen, ob ich sie akustisch anpeilen kann, finde und wenigstens ein Foto hinkriege und vielleicht sogar feststellen kann, ob sie brĂŒten (die Jungen haben einen eigenen Klang), damit die Ornithologen ihre Verbreitungskarten entsprechend aktualisieren können und wir vielleicht irgendwann mal sagen können: Es war nicht alles schlecht im Klimawandel…

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